Floating Gardens
Do you hear them whisper
Do you hear them sing
It’s winter and spring
Telling the infinite story
Of departure and return
Wir, die Floating Gardens, begegnen euch als fluider Körper aus Bienen, Calendula, Dämpfen, Dreck, Feuerbohnen, frischem Kompost, gärtnernden Menschen, Geflüster, Hausschwalben, Ipomea, Klee, Marienkäfer, Mäusen, Moskitos, Nachtfalter, Nachtkerzen, Regenwasser, allen möglichen Wildkräutern … seit 2019 erkunden wir sukzessive, wie wir mit den Menschen und ihren Aktivitäten im Regenwasserauffangbecken interagieren und kollaborieren können. Nicht alle von uns sind Vereinsmitglieder und unsere Dynamiken passen sich den Jahreszeiten an.
Essbare Szenografie im Regenwasserauffangbecken des Tempelhofer Felds
Die Floating Gardens beziehen sich auf das Regenwasserauffangbecken als artenübergreifender Lebensraum, der sich durch das Zusammenwirken von Amphibien, Insekten, Mikroorganismen, Pflanzen, Pilzen, Säugetieren (inklusive Menschen), Vögeln, … ständig wandelt. Durch die Bepflanzung und Pflege bewachsener Räume innerhalb der gebauten Struktur im Regenwasserbecken erforschen wir, wie Gartengemeinschaften als selbstorganisierte Öko-Infrastrukturen aktiv ein symbiotischeres Zusammenleben in städtischen Räumen neu konzipieren und schaffen können. Gärten, die Vielfalt und ungeplanten Raum für Selbstregulierung zulassen, bieten Zufluchtsorte für lokale Arten, die sich nicht in den gebauten Strukturen des urbanen Umraums ansiedeln. Wie können wir den Begriff „Garten“ [interspecies microcosm] [artenübergreifender Mikrokosmos] und die Tätigkeiten der „Gärtner*innen“ [botanische Beziehungsarbeit, artenübergreifende Intelligenz] neu interpretieren und die lebendige Welt in den Mittelpunkt stellen? Wir beobachten die Lebenszyklen vor Ort und säen ein buntes Buffet für die fliegenden Insektenarten innerhalb der gebauten Strukturen der Floating University (Übersicht der Arten vor Ort). Im Ausklang des Sommers singen spätnachmittags Hausschwalben, am frühen Abend Zwergfledermäuse und Frösche Lieder über sie.
Künstlerische botanische Praxis an einem teilweise kontaminierten Standort
Wir erproben vertikale Botanik kritisch und versuchen gleichzeitig, botanische Praxis als Beziehungsarbeit mit dem Ort in die alltäglichen Aktivitäten der Floating University hineinwachsen zu lassen. Über den teils offenen, teils versiegelten Erdböden schwebend wachsen die Floating Gardens in einem Freiluftgewächshaus. Sie benötigen ständige Pflege von Menschenhand, unter anderen einschränkenden Umständen, da die Erde, in der sie wurzeln, nicht durch die Organismen aktiviert wird, die nur in offenen Böden leben. Wie kann die Erde ohne industriellen Dünger fruchtbar gehalten werden, welche einheimischen Pflanzen nähren die Insekten vor Ort, welche Pflanzenarten wachsen symbiotisch und wie interagieren ihre Wurzeln, was sät der Wind und warum nicht alles Wildkraut entfernen, wie beeinflussen die extremen Temperaturschwankungen im Mikroklima des Regenbeckens eine sanfte Pflege? Wir erforschen kreative und kritische Strategien vor Ort, um uns diesen und vielen weiteren Fragen zu einem affektiven, artenübergreifenden, nachhaltigen und unperfekten Wandel in der selbstorganisierten Öko-Pflege von Natur- Kultur-Räumen anzunähern.
Artenübergreifende Kollektivität: Dynamiken und Ansätze
Nicht all unsere Aktivitäten sind nützlich und nicht alle sind Kunst; wir bemühen uns um einen aufmerksamen und ständigen Dialog mit den vielen Arten des Lebendigseins (Morisot). Wie kann künstlerische Botanik als verkörperte Fürsprache für urbane Natur-Kultur-Räume ko-praktiziert werden, ohne tatsächlich in das vorgefundene Ökosystem des Ortes einzugreifen? Wie kann botanische Praxis dazu beitragen, unsere Beziehung zur lebendigen Welt zu transformieren? Während der offenen Gartentreffen an der Floating University tauschen sich die menschlichen Teilnehmer*innen über Methoden aus, die sie direkt vor Ort anwenden und im kleinen praktiziert zum Erhalt der urbanen Biodiversität beitragen können.
Programm der Floating Gardens seit 2019:
2019 informelle Findung der Gartengemeinschaft
2020 Greening the Floating Iceberg
2021 Sow and Grow: Vegetable Mix
2022 What’s in the air? Learning from the Life on Site
2023 Garden communities as Green Infrastructures, Milpa High-Bed Prototype
2024 Spezies in Partnerschaft, Essen für alle
Bisher fanden die informellen, anleitungsfreien Treffen seit 2019 wöchentlich von April bis November statt und bieten Raum für botanische Praxis, gemeinschaftlichem Wirken, Wissensaustauch und gegenseitigem Lernen.
Milpa: Learning from corn, bean and squash (2023)
Lorene Blanche, Alizée Sérazin, Rosario Talevi
Im Frühjahr 2023 wurde ein Milpa Garten an der Floating University gebaut. Wir pflanzten Mais, Kürbis und Bohnen rund um die Küche an, um die traditionelle mesoamerikanische Polykultur von Mais (Zea mays L.), Bohnen (Phaseolus spp.) und Kürbis (Cucurbita spp.) zu testen. Der Begriff „milpa“ stammt aus der Nahuatl-Sprache („milli“, gesätes Feld, und „pan“, obenauf). Die auch als „drei Schwestern“ bekannte mesoamerikanische agro-ökologische Einheit verkörpert Ideen von Hybridität, Gegenseitigkeit und Interdependenz. Es handelt sich um ein vorkoloniales Subsistenzsystem, das nicht nur eine Alternative zu eurozentrischen Monokulturen bietet, sondern auch einen kulturellen Kontrast einführt: die Milpa als abweichende Weltanschauung, vielfältig, plural und in ihrer Unterschiedlichkeit miteinander verbunden.
Die Milpa an der Floating University ist ein Experiment. Der Anbau eines Gartens in einem Regenwasserrückhaltebecken mit einem besonderen Mikroklima, das von Sturzregen, kontrastreicher Feuchtigkeit und extremer Hitze aufgrund des Betonbodens beeinflusst wird, ist eine Übung zum Klimawandel.
Die Milpa war eine ursprünglich eine Idee von Rosario Talevi und sie wurde in Auftrag gegeben an Lorene Blanche (Botanik) und Alizée Sérazin (Hochbeetkonstruktion) für das Climate Care Festival 2023.
Das Hochbeet wurde errichtet mit der Unterstützung von Vinzent Müller, Nils Palme, Leonard Strübin, Andrew Wu, Felix Wierschbitzki, Raul Walch, Cori Blair and Nala, Mathilde Dewavrin, Benjamin Foerster-Baldenius, Florian Foerster, Joanna Hedley-Smith und gepflegt mit der Unterstützung von Adriana Gahona, den Bienen und Krähen vor Ort.
Wie viele Schirmchen zählt eine Pusteblume? Floating Saatgutarchiv (seit 2022)
Ein lebendiges Archiv des Regenbeckens: Bei Gängen um das Regenbecken sammeln wir Saatgut von allen möglichen Pflanzen, die neben dem Weg wachsen, und erfinden Namen für diejenigen, die wir noch nicht identifizieren können. Das Floating Saatgutarchiv dokumentiert sowohl die vor Ort lebenden als auch die ausgesäten Pflanzen. Der Ort selbst beherbergt eine Vielzahl von Pflanzen, vor allem Wildkräuter, die aufgrund einer selektiven Pflegepraxis weitgehend aus dem öffentlichen Raum verschwunden sind, obwohl sie viele Vorteile mit sich bringen, z. B. für die Regeneration der Böden und als Nahrungsquelle für Insekten. Wir sammeln kontinuierlich, archivieren, pflanzen und vermehren das Saatgut. Über uns kreuzen Wildgänse auf ihrem Weg in den Süden den Himmel und erfüllen die Luft mit ihrem Geschnatter. Das Saatgutarchiv unterstützt ausschließlich altes Saatgut und zelebriert dessen Erinnerungsvermögen, Lernfähigkeit und Anpassungsfähigkeit an neue Umstände.
Credits
Teilnehmer*innen der Floating Gardens 2019 – 2023: Adriana Gahona, Andrew Wu, Antonia Schlaich, Hannah Greven, Gilly Karjevsky, Jade Dreyfuss, Karin Weissenbrunner, Katherine Ball, kêmi atelier, Laureen Hünig, Lorene Blanche, Martina Kolarek, Nina Peters, Nils Palme, Pia Groleger, Sarah Yaparsidi, Sophia Tabatadze, Stefan Klopfer, Ute Lindenbeck, und viele gelegentliche Teilnehmer*innen
Koordination 2024: Adriana Gahona
Konzept and Koordination 2022, 2023: Lorene Blanche
Text: Lorene Blanche
Paragraph Milpa: Rosario Talevi